Konzert „Trost und Versöhnung “
28. Februar oder 01. März 2026 in Kirche St. Barbara, Littenweiler FR


Aufführende:
Deutsch-Französischer Chor Freiburg
Streicher-Ensemble (19 Mitglieder)
Leitung: Moritz Herzog


Warum brauchen wir Trost und was tröstet uns? Über diese Fragen hat sich der
Chor vor dem Projekt Gedanken gemacht. Trost bedeutet für die meisten menschliche
Nähe, Verständnis und Geborgenheit. Er entsteht durch Zuhören, Mitgefühl
und das Gefühl, angenommen zu sein. Wir brauchen Trost, um Schmerz und
Überforderung zu bewältigen und wieder Vertrauen ins Leben zu finden. Tröstlich
wirken vor allem liebevolle Gesten, ehrliche Worte, Umarmungen, Musik oder
stille Präsenz – nicht schnelle Lösungen. Trost ist eng mit Versöhnung verbunden:
Er hilft, das Schwere anzunehmen, Frieden mit sich und anderen zu schließen und
neue Zuversicht zu gewinnen.
Auf dieser Grundlage entstand ein zweigeteiltes Programm: Im ersten Teil a cappella-
Werke, die direkt oder indirekt vom Krieg und der deutsch-französischen
Feindschaft handeln. Von der fast schon vorfreudigen Einstimmung auf den Krieg
(„L’homme armé“) zu dessen dunklen Seiten („Nachtlied“ und „Complainte de
Jean Renaud“) bis hin zur Katastrophe („Wie liegt die Stadt so wüst“) folgen die
Werke des ersten Teils einer eskalierenden Dramaturgie. Im zweiten Teil erklingt
mit Maurice Duruflés Requiem ein Werk, was zwar ebenfalls zu Zeiten des Krieges
komponiert wurde, in seiner Intention aber für die Versöhnung steht und somit
als Symbol für die mittlerweile starke deutsch-französische Freundschaft steht.
„L’homme armé“ ist eine raffinierte, dreistimmige Doppelchanson aus der Mitte
des 15. Jahrhunderts, die Musik, Humor und Zeitgeist auf einzigartige Weise verbindet.
Das Werk kombiniert ein kunstvoll gereimtes Rondeau in der Oberstimme
mit der damals weitverbreiteten Volksweise „L’homme armé“ im Tenor und Contratenor.
Inhaltlich verspottet es den alternden Sänger der burgundischen Hofkapelle,
Maître Simon le Breton, der hier augenzwinkernd als Held gefeiert wird, der
gegen den „furchtbaren Türken“ kämpft – eine ironische Anspielung auf die
Kreuzzugsidee nach dem Fall Konstantinopels 1453.
Musikalisch entfaltet sich das Stück in einem lebhaften Dreiertakt mit dichten Imitationen
und Hemiolen, die einen kraftvollen, fast tänzerischen Charakter erzeugen.
Die Stimmen sind kunstvoll verzahnt, sodass sich der Spotttext und der
kriegerische Ruf „L’homme armé doit-on doubter“ („Den bewaffneten Mann
muss man fürchten“) zu einem klanglich dichten, humorvollen Spiel verweben.
Der Witz liegt nicht nur im Text, sondern auch in der rhythmischen Präzision und
der bewussten Gegenüberstellung von ernster Kriegsthematik und musikalischer
Leichtigkeit.
Die Autorschaft ist umstritten: In Frage kommen Guillaume Du Fay, Antoine Busnoys
oder Johannes Ockeghem, alles führende Komponisten der burgundischen
Schule. Besonders Du Fay gilt als wahrscheinlich, da er mit Simon le Breton bekannt
war und das Stück gut in sein Umfeld und seine Handschrift passt. Stilistisch
weist es zudem Parallelen zu Ockeghems Chanson „L’autre d’antan“ auf, was auf
ein gemeinsames kompositorisches Milieu hindeutet. Wahrscheinlich entstand
das Werk in den Burgundischen Hofkreisen um 1460 und spiegelt die Vorliebe der
Zeit für das Thema „L’homme armé“ wider, das in jener Epoche zum Symbol
christlicher Wehrhaftigkeit und zu einem beliebten Motiv polyphoner Kompositionen
wurde. Insgesamt vereint das Stück höfischen Spott, musikalische Brillanz und
kulturellen Zeitkommentar zu einer feinsinnigen Parodie auf Kriegsheldentum und
Kreuzzugseifer.
Max Regers „Nachtlied“ op. 138 Nr. 3 gehört zu den Acht geistlichen Gesängen
(1914), seinem letzten vollendeten Chorzyklus und einem der bewegendsten
Zeugnisse seines Spätstils. Das Werk entstand in den letzten Lebensjahren des
Komponisten, kurz vor seinem plötzlichen Tod 1916, und steht in unmittelbarem
Zusammenhang mit den Erschütterungen des Ersten Weltkriegs. Reger komponierte
die Acht geistlichen Gesänge op. 138 im Sommer 1914, also unmittelbare
genau zu jenem Zeitpunkt, als in Europa der Krieg ausbrach. Obwohl Reger nicht
ausdrücklich programmatisch oder politisch arbeitete, durchzieht den gesamten
Zyklus eine tief empfundene Atmosphäre von Trost, Abschied und innerer Sammlung.
Die Werke wenden sich nach Jahren monumentaler, oft polyphoner Dichte
nun einer schlichten, kontemplativen Ausdrucksweise zu – ein deutlicher stilistischer
Wandel hin zur religiösen Innerlichkeit und zur Klangreduktion, fast als
Rückzug aus der lauten Welt.
Das „Nachtlied“ (nach dem gleichnamigen Text von Petrus Herbert, 1566: „Die
Nacht ist kommen, drin wir ruhn…“) ist der wohl bekannteste und zentralste Satz
des Zyklus. Das Werk entfaltet in modaler Harmonik einen Bogen von der Angst
(„Treib, Herr von uns fort…“) hin zum Trost. Die Nacht erscheint nicht als bedrohlich,
sondern als Ort der Geborgenheit und göttlichen Obhut – ein Bild, das angesichts
der Kriegsjahre eine besonders tröstende Dimension erhält. In der Rückschau
wirkt das „Nachtlied“ wie eine musikalische Abschiedsgeste Regers: Der
Komponist, der zeitlebens für seine komplexe kontrapunktische Kunst und kraftvolle
Expressivität bekannt war, findet hier zu einer fast meditativen Einfachheit,
die in ihrer Demut und Ruhe tief bewegt. Die Musik scheint den Wunsch nach
Frieden – innerlich wie äußerlich – zu formulieren, in einer Zeit, in der die Welt in
Chaos versank.
Jehan Alains „Complainte de Jean Renaud“ ist eine kurze, aber emotionale Klage
über Verlust und Tod, die im Kontext von Alains Leben und Zeitgeschichte eine
besonders berührende Bedeutung erhält. Das Stück basiert auf einem alten französischen
Volkslied, in dem der Ritter/König Jean Renaud schwer verwundet von
der Schlacht heimkehrt. Er bittet, niemandem von seiner Rückkehr zu erzählen,
weil er sterbend ist. Jehan Alain (1911–1940) war einer der originellsten jungen
französischen Komponisten seiner Generation, geprägt von Claude Debussy, Olivier
Messiaen und vor allem von Maurice Duruflé, mit dem ihn eine enge künstlerische
Freundschaft verband. Beide teilten ein tiefes Interesse an modale Klangsprache
und der Gregorianik, die sie in eine moderne, persönliche Tonsprache
überführten. In der „Complainte de Jean Renaud“ verschmilzt Alain diese Einflüsse
zu einem fein nuancierten, beinahe zeitlosen Ausdruck: modale Wendungen,
schwebende Harmonik und eine klare, fast asketische Stimmführung verleihen
dem Werk eine innere Ruhe und Trauer, die jenseits von Pathos liegt. Die Musik
wirkt, als lausche sie der Stille zwischen den Tönen – ein Sinnbild für das Unsagbare
des Todes.
Tragischerweise wurde diese Thematik bald Teil von Alains eigenem Schicksal. Nur
wenige Jahre nach der Entstehung des Werks fiel er 1940 als Soldat im Zweiten
Weltkrieg im Alter von nur 29 Jahren bei Saumur, als er sich – laut Überlieferung –
allein einer deutschen Einheit entgegenstellte. Sein Tod machte ihn zu einer symbolischen
Figur jener zerrissenen Generation, deren künstlerische Stimmen durch
den Krieg verstummten.
Rudolf Mauersbergers „Wie liegt die Stadt so wüst“ gehört zu den erschütterndsten
und zugleich eindringlichsten Werken der deutschen Chorliteratur des 20.
Jahrhunderts. Das Werk entstand im März 1945, unmittelbar nach der Zerstörung
Dresdens, und ist als musikalisches Requiem für die Stadt und ihre Bewohner zu
verstehen.
Mauersberger (1889–1971), seit 1930 Kreuzkantor in Dresden, erlebte die Bombennächte
vom 13. bis 15. Februar 1945 selbst mit und sah die jahrhundertealte
Stadt, ihre Kirchen und auch den Kreuzchor – das Zentrum seines Lebens – in
Trümmern liegen. Tief erschüttert, komponierte er nur wenige Wochen später
diese Motette für gemischten Chor a cappella auf Worte aus den Klageliedern
Jeremias („Wie liegt die Stadt so wüst, die voll Volks war“). Der Text, ursprünglich
eine Klage über das zerstörte Jerusalem, wurde für Mauersberger zu einer Parallele
zur Vernichtung Dresdens und zum Sinnbild menschlicher Schuld und Vergänglichkeit.
Musikalisch ist das Werk von einer strengen, archaischen Schlichtheit geprägt. Die
oft modale Harmonik erinnern an den Stil alter Kirchenmusik, doch die schmerzvollen
Dissonanzen und abrupten Dynamikwechsel verleihen der Komposition
eine existenzielle Intensität, die über liturgische Tradition hinausgeht. Besonders
die Schlussworte – „Ach Herr, siehe an mein Elend“ – wirken wie ein persönliches
Gebet, in dem individuelle Trauer und kollektive Schuld zu einer einzigen Klage
verschmelzen.
Maurice Duruflés Requiem op.9, 1947 uraufgeführt, basiert auf traditionellen gregorianischen
Gesängen und integriert diese mit modernen harmonischen und orchestralen
Elementen. Diese einzigartige Verbindung schafft eine versöhnliche
Klangsprache, die sowohl die Trauer um die Verstorbenen als auch die Hoffnung
auf Versöhnung und Frieden vermittelt. Der historische Kontext des Requiems ist
von besonderer Bedeutung: Das Werk wurde während der Besatzungszeit Frankreichs
vom Vichy-Regime in Auftrag gegeben. Trotz dieser schwierigen politischen
Umstände schuf Duruflé eine Musik, die über die damaligen Konflikte hinausweist
und eine Botschaft der Versöhnung und des Friedens transportiert. Dies macht
das Requiem zu einem kraftvollen Symbol für die Überwindung von Feindseligkeiten
und die Hoffnung auf eine bessere Zukunft.
Duruflés Requiem bietet den Zuhörenden sowohl Raum für eine Reflexion dieser
Themen und zeigt auf musikalische Weise den Weg von Trauer zu Versöhnung
auf. Dabei steht es doppelt für Versöhnung: Im inhaltlichen wie auch im historischen
Sinn.

Moritz Herzog